An der Oberfläche des Lebens ist Kampf, Unruhe und Stress. Wer nur hier lebt, macht sich krank. Vor allem aber erlebt er nicht das ganze Leben, sondern nur die Peripherie. Unter der Oberfläche ist die innere Dimension. Tief im Inneren unseres Selbst gibt es einen Mittelpunkt, eine Quelle, ein entspanntes Strömen, ein Fluss, der sich ganz von alleine fortbewegt. Die Oberfläche ist wie ein aufgewühltes Meer, immer unruhig und sich stetig verändernd, das ist ihre Natur. Daran ist nichts falsch. Wem es gleichzeitig gelingt in der Tiefe des Selbst verwurzelt zu sein, der kann die Vielfalt und permanente Veränderung der äußeren Wirklichkeit besser genießen, wie ein Schauspiel. Buddha benutze dafür die Metapher eines Baumes, der mit seinen Wurzeln tief in der Erde verankert ist. Die Stürme des Lebens werden seine Krone heftig hin und herreißen. In seinen tiefen Wurzeln hat er seinen Halt. Wer innerlich Stille gefunden hat, sieht Schönheit und Perfektion des Lebens auch in der Unruhe und im Scheitern. Wer den inneren Kern, den stillen Mittelpunkt nicht kennt, wer sich nur mit der Oberfläche identifiziert, wird in den heutigen Zeiten verrückt. Und das Tempo nimmt nicht ab, im Gegenteil.
Alle spirituellen und transpersonalen Techniken zielen im Grunde darauf ab, mit diesem Mittelpunkt in Kontakt zu kommen, nach Innen zu gehen, die Aussenwelt für eine Zeitlang zu vergessen. Hier können wir Kraft schöpfen, alles Äussere hinter uns lassen, uns ins Sein entspannen. Das Denken kommt zur Ruhe, und der Mensch wieder in Kontakt mit dem, was man in unserer Kultur Seele nennt. Viele klammern sich immer noch an diese Oberfläche, weil sie nicht wissen, wie leicht es eigentlich ist, sich in das Selbst fallen zu lassen. Unterhaltungsindustrie und Medien führen übrigens nicht unter die Oberfläche, sie hinterlassen ein schales Gefühl betrogen worden zu sein, auch wenn sie uns zeitweilige Zerstreuung bieten.
Mit der Seele wieder in Kontakt zu kommen, die eigene Mitte zu finden, bedeutet, sich wieder mit Erlebnistiefe, Intensität, Weisheit, Verletzlichkeit oder Mitgefühl zu verbinden. Ohne diese Qualitäten verflacht das Leben. Wir werden austauschbar, behandeln uns und andere wie Waren. In einer durchkommerzialisierten Gesellschaft verkümmert die Seele, verhalten sich Menschen wie Automaten. Depressionen sind Ausdruck einer epidemischen Seelenlosigkeit. Wer sich seine Tiefenstruktur nicht erschließt, in der Oberflächenstruktur verharrt, den reißt die Seele manchmal gewaltsam in die Tiefe. Wer das innere Zentrum von sich aus erforscht, dem eröffnet sie eine Welt der Ruhe, Gelassenheit und tiefen Entspannung. Hier finden wir die regenerative Kraft, die Quellenenergie, die uns erfrischt und verjüngt.
Wenn man nicht weiß, wie man sich entspannen kann, wird einen alles aus der Ruhe bringen. Wer gelernt hat, sich tief zu entspannen und die eigene Mitte auch in den Alltag zu integrieren, den kann Nichts mehr so leicht aus der Ruhe bringen. Wirkliche Freiheit besteht darin, dass das inneres Erleben immer freier wird von der Rastlosigkeit und Verrücktheit der Welt da draußen. Man ist dann nicht mehr bereit, sich durch irgendeinen Blödsinn aus der Mitte bringen zu lassen. Wer gestresst ist oder sich leicht durcheinander bringen lässt, zeigt damit nur, dass er im Bereich der Oberflächenstruktur lebt.
Der Weg nach Innen ist nicht weit, jedenfalls grundsätzlich nicht weiter, als der Weg nach Außen, in die Welt der Objekte. Wenn wir die Anatomie unseres Wahrnehmens genauer betrachten, erkennen wir, dass die Sinne uns nach Außen, in die Welt der Objekte bringen. Augen brauchen Objekte, um etwas zu betrachten, ansonsten sind sie nutzlos. Unsere Ohren. Hände wollen etwas anfassen, der Geschmackssinn verlangt nach unterschiedlichsten Gewürzen und Nahrung. Unsere Sinne sind zwar im Körper, aber sie sind genau an der Grenze zwischen Innen und Außen. Unser Bewusstsein ist tief im Inneren, da wo auch unsere Mitte zu finden ist. Folgende drei Aspekte gilt es zu verstehen, bevor man beginnt sich mit Techniken zu beschäftigen, die uns in die Tiefendimension unseres Seins führen:
Die Sinne liegen der Mitte, die Welt der Objekte auf der einen Seite und das Bewusstsein auf der anderen Seite. Die Sinne können in beide Richtungen gehen, nach Außen und nach Innen. Natürlich richtet sich die Aufmerksamkeit automatisch nach Außen, schon um unser Überleben zu sichern, weil da draußen ist Nahrung, Liebe, Zuwendung und andere Stimuli, die wir fürs Überleben brauchen. Auch Tiere sind so konditioniert. Was uns von ihnen unterscheidet, ist Introspektion, die Fähigkeit die Sinne nach Innen zu richten. Sobald wir dies tun, erschließt sich von alleine die Tiefenstruktur unseres Wesens.
Hier eine von vielen Techniken, die man jederzeit ausprobieren kann:
Schaue etwas an, wie diesen Text oder irgendein anderes Objekt. Bewege die Augen nicht. Ziehe dann die Aufmerksamkeit ganz langsam vom Objekt zurück. Die Augen bleiben unbewegt. Unterlasse alles Denken, schaue nur. Der Blick wird weich werden. Du siehst immer noch das Objekt, aber es beginnt zu verschwimmen. Dein Blickfeld erweitert sich, aber Deine Augen bewegen sich nicht. Ziehe Deine Aufmerksamkeit noch mehr zurück. Der Blick ist immer noch starr, die Augen bewegen sich nicht. Ziehe nun auch alle Gedanken zurück. Das Objekt ist jetzt nur noch im Spiegel Deines Bewusstseins und Du tauchst automatisch immer tiefer ins reine Gewahrsein. Jetzt schließe die Augen und ziehe Deine Aufmerksamkeit von allen Bildern, Objekten oder Gedanken zurück. Lass die Welt da draußen für einen Moment vollständig los. Durch dieses tiefe Loslassen, indem Du das Sehen nach Innen richtest, kommst Du ganz von allein ins Zentrum, in die Quelle Deines Seins.