Summer Blues

Je kristalliner das Licht des Sommers, umso dunkler erscheinen die Schatten. Kontraste und Widersprüche werden deutlicher in den längsten Tagen des Jahres. Wer Stress im Inneren und Äußeren erfährt, erlebt nicht nur die freudige Qualität dieser expansiven, sommerlichen  Energie. Im hellen Licht erscheinen die unaufgeräumten Anteile der Seele deutlicher. Auch sie drängen ebenso an die Oberfläche, wie die vitalen, freudvollen Aspekte. „Wo Licht ist, ist auch viel Schatten.“ Man kann diese dunklen Aspekte der Seele mit seichter Unterhaltung, Essen oder Alkohol verdrängen. Sinnvoller jedoch ist, wenn wir auch diesen trüben, schweren Stimmungen, dem „Sommer-Blues“, Raum geben können. Er bringt uns manchmal erst die enorme Spannung und Tiefe, ähnlich einem Sommer-Gewitter, die uns erlaubt auch in den schwierigen Momenten des Alltags die Tiefendimension des Seins zu erfahren. Rilke nennt diesen seelischen Raum, den man dafür benötigt, ein tiefes Atemholen: „…da ist einer, der sich reifen lässt. Er drängt nichts in sich, er überstürzt nichts, er hat immer ein Heute, das ihn ganz ausfüllt, und ein Morgen, das er erwarten kann. Seine Seele hat ein tiefes Atemholen. Sie grübelt nicht, wünscht nichts anderes;  sie hat einfach Sommer, sie reift.“

Wer beide Seiten des Lebens intensiv leben will, kommt nicht daran vorbei, tiefer nach Innen, in die eigenen Konditionierungen und Haltung in Bezug auf die Widersprüchlichkeiten des Daseins zu schauen. Gautama Buddha formulierte es in seiner Genialität sehr einfach: „Menschen leiden entweder daran, dass das, was sie wollen, nicht eintritt oder das etwas eintritt, was sie nicht wollten.“ Der wichtigste Schritt also, um aus der Achterbahn des Leidens auszusteigen, besteht in der grundsätzlichen Akzeptanz, dass das hier ein Zirkus, ein Spiel, eine virtuelle Realität ist. Wir sind Tragikomiker. Aus transpersonaler Sicht ist das Leben ein intensives Unterhaltungsprogramm, Drama und Komödie zugleich. Wer in der Position des Beobachters zu Hause ist, kann sich beidem hingeben, egal ob Niederlage oder Erfolg, Freude oder Schmerz, Gewinn oder Verlust. „Wo es Schönheit gibt, da gibt es auch Hässlichkeit; wo es Richtig gibt, da gibt es auch Falsch. Weisheit und Unwissenheit bedingen einander, Illusion und Erleuchtung kann man nicht trennen. Ich will dies, Ich will jenes, das ist nichts als Dummheit. Alle Dinge sind vergänglich“ Ryokan, japanischer Zen-Meister des 18. Jahrhunderts.

Die Kultivierung des Inneren Beobachters ist in allen spirituellen Traditionen eine elementare Aufgabe. Er verfügt über das wichtigste, um nicht im Drama unterzugehen: Abstand zu sich selbst. Ist dieser Innere Beobachter ausreichend in der Psyche eines Menschen etabliert, führt er uns in eine Ebene grundsätzlicher Akzeptanz und Bejahung des Lebens in all seinen Aspekten.Wer immer noch im Aussen das Rezept für ein glückliches Leben sucht, vergeudet seine Zeit. Obwohl das allem widerspricht, was man uns beigebracht hat. Man hat uns gesagt, dass, wer mehr vom Leben will, Marlboro raucht, den Super-Cappuccino von Luigi oder den Chauteauneuf du Pape trinkt, Maserati fährt oder irrsinnig berühmt sein sollte. Aber die meisten von uns haben schon versucht die innere Leere mit materiellen Objekten zu füllen, um feststellen müssen, dass die Haltbarkeitsfrist dieser externen Stimuli ziemlich kurz ist. Am nächsten Morgen beginnt das Rennen von neuem und wir sitzen wieder in der Achterbahn.

Ryokan, ein japanischer Zen Meister des 18. Jahrhunderts, empfahl im Umgang mit den Widersprüchen des Lebens folgendes:  „Wenn Du einem Unheil begegnest, ist es gut dem Unheil zu begegnen. Wenn Du stirbst, ist es gut zu sterben. Das ist die wunderbarste Weise, dem Unheil zu entrinnen.“

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