Der Hohepriester, Elazar ben Tsedaka ben Yitzhaq, begrüßte uns freundlich, als wir das Museum der Samaritaner in der Nähe von Nablus betraten. Er erschien wie aus dem Nichts, als wir uns gerade in den kleinen Räumlichkeiten umschauten. Der Bau glich eher einem Einfamilienhaus, als einem Museum. Ich zögerte einzutreten, aber aus Höflichkeit ging ich dann doch hinein. Eigentlich war mein „Job“, bzw. mein Ritual, wegen dessen ich nach Israel gereist war, erledigt. Aber unser Reiseführer, der uns begleitet hatte, empfahl uns diesen historischen Ort in der Nähe von Nablus zu besuchen. Ich bin kein Fan von Museen, aber irgendetwas sagte mir – wenn ich schon mal hier war – warum nicht einen Abstecher in die Geschichte der Samariter machen. Schliesslich heisst der gesamte Landstrich Samaria und die einzige Assoziation, die ich bis dahin hatte, war der „gute Samariter“. Wir, das waren mein Sohn Aaron, meine Frau Tamara und ich. Anlass dieser Reise nach Israel bzw. Palästina, war die Empfehlung eines Schamanen gewesen. In einer seiner „Behandlungen“ mit mir war er zu dem Schluss gekommen, dass ich in einem früheren Leben ein „Priester der Samaritaner“ gewesen sein musste, der einen seiner Söhne früh verloren hatte. Dieses Ereignis hatte einen tiefen Riss in meiner Seele hinterlassen, so seine Aussage. Seine Empfehlung für mich war daher, diesen Riss durch ein Ritual in Israel, bzw. der alten Hauptstadt Samaria, zu heilen. Ich war mir damals nicht sicher, ob diese Geschichte reine Fiktion oder tatsächlich passierte war, aber es bot mir einen guten Vorwand dem Winter in der Schweiz zu entfliehen und mit meiner Familie Ferien in Israel zu machen.
Mein “Ritual“ hatte darin bestanden, einen bestimmten Text aus dem alten Testament in einem Steinkreis in der alten Hauptstadt der Samaritaner, eben Samaria, zu rezitieren. Als erste Hindernis stellte sich heraus, dass dieser Ort gar nicht zugänglich war. Samaria ist heute eine archäologische Stätte, die im Gebiet der Palästinenser liegt und zu dieser Zeit für alle, ausser autorisierte Archäologen gesperrt war. Wir kamen trotz eines sehr ortskundigen und gut vernetzten Reiseführers nicht nach Samaria. An der einzigen Zugangsstraße, gut 10 km vor den Ruinen von Samaria, war Schluss. Der vor einem israelischen Militärcamp stationierte Soldat machte unmissverständlich klar,dass es hier für uns nicht weitergehen würde. Eine telefonische Rücksprache mit dem Schamanen in der Schweiz ergab, dass es für das Ritual auch ausreichen würde, wenn ich in der Nähe der alten Hauptstadt wäre. Also positionierte ich mich neben dem Militärcamp auf einem kleinen Hügel, baute meinen Steinkreis und begann die Bibelstelle zu rezitieren. Meine Familie wartete mit dem Reiseführer am Fuß des Hügels. Sie konnten mich nicht sehen. Als meine Frau realisierte, dass ein gepanzertes, mit Soldaten besetztes Fahrzeug genau auf „meinen Hügel“ fuhr, während ich in meinem Steinkreis saß, dachte sie: „Jetzt bringen sie ihn um.“ Aber nichts dergleichen geschah.
Da jetzt mein „Job“ erledigt war, wollten wir zurück nach Jerusalem. Aber unser israelische Führer, der ursprünglich im Irak aufgewachsen und von dort vertrieben worden war, empfahl uns diese Museum der Samaritaner in der Nähe von Nablus zu besuchen. Er wusste von meiner Geschichte, dem Sinn des Rituals und der damit verbundenen Absicht. Als wir im Museum dem Hohepriester der Samaritaner gegenüberstanden, übersetzte unser Reiseführer die Ausführungen von Elazar ben Tsedaka ben Yitzhaq ins Englische. Es stellte sich heraus, dass die Samaritaner einer der ältesten Stammbäume der Welt besitzen. Vor uns stand der Ur-Ur-Ur-Ur…Enkel von Salomon. Fast alle Namen dieser Hohenpriester sind seit mehr als 3.000 Jahren überliefert. Elazar zeigte uns seinen uralten Stammbaum mit 132 Priestern über 34 Jahrhunderte und erklärte uns Folgendes: „Die Samaritaner waren eine sehr alte, israelische Glaubensgruppe, die sich standhaft geweigert hatte, ihr Land zu verlassen, wann immer Eroberer – wie die Assyrer – ins Land einfielen. Ihre Hauptstadt war Samaria und nicht Jerusalem. Sie waren nicht nach Ägypten ausgewandert, sondern blieben immer auf ihrem Land. Der Preis dafür war sehr hoch. Es gibt heute nur noch Wenige von ihnen. Von einer Glaubensgemeinschaft von ursprünglich 1,5 Millionen Menschen sind noch 800 übriggeblieben.
Nach seinen Ausführungen nutze unser Reiseführer die kurze Pause, um den Hohepriester Elazar von meiner ursprünglichen Absicht und dem Ritual zu informieren. Noch während seiner Schilderung änderte sich der Gesichtsausdruck des Hohepriesters. Er strahlte mich nun voller Freude und Begeisterung an, drehte sich zum Stammbaum seiner Ahnen und zeigt aufgeregt mit seiner Hand auf den Namen einer seiner Vorfahren im 17. Jahrhundert. Unser Reiseführer übersetzte: „Du warst das damals, der seinen Sohn verlor.“ Ich stand vor meinem eigenen Ur-Ur-Ur-Ur-…Enkel. Für einen Augenblick schien die Zeit stehen zu bleiben. Soviel Synchronizität hatte ich nicht erwartet. Ich hatte mich ursprünglich eher spielerisch auf das ganze Ritual eingelassen, aber jetzt öffnete sich eine seelische Tiefendimension, die weit über mein logisches Denken hinausging. Für den Hohepriester der Samaritaner war es ganz offensichtlich, dass ich in früheren Zeiten Teil seiner Tradition gewesen war. Anschliessend segnete er mich und meine Familie. Seine Segen hatte eine heilende und friedvolle Energie. Etwas in mir war rund geworden, hatte sich erlöst und fühlte sich ganz. Es war für mich eine dieser direkten, unmittelbaren Begegnungen mit einer Dimension, die über Zeit und Raum hinausging und mir die Vielschichtigkeit der Seele vor Augen geführt hatte.