Persönliche Transformation & gesellschaftliche Veränderung

GatesKein westlicher Wissenschaftler hat die tibetische Geschichte so durchdrungen wie Robert Thurman, der an der Columbia University tibetischen Buddhismus unterrichtet. (Buchtip: „Revolution von Innen“ von Robert Thurman) Was er lehrt, widerlegt das Argument, das die Chinesen Anfang der 50iger Jahre benutzen, um Tibet gewaltsam zu vereinnahmen. Tibet war eben keine Theokratie, in der die Oberschicht der Lamas den Rest der Bevölkerung ausbeutete. Tibet war es vielmehr über Jahrhunderte gelungen, eine Bewusstseinsgesellschaft aufzubauen, die sich zum Ziel gesetzt hatte, jeden Einzelnen seiner Bürger zu erleuchten. Im 12. Jahrhundert wurde diese Entwicklung durch Milarepa initiiert, indem er die alten Strukturen der Warlords und der Aristokratie Stück für Stück auflöste und buddhistische Klöster und Universitäten gründete. Sie hatten in den folgenden Jahrhunderten die Aufgabe das Bewusstseinspotential jedes Einzelnen zu fördern, um eine erleuchtete Gesellschaft aufzubauen. Chinesische Reisende des 16. Jahrhunderts z.B. berichten in ihren Reisebeschreibungen, dass die Berghänge in Tibet von erleuchteten Mönchen in der Dunkelheit einen besonderen Glanz ausstrahlten.

Der Weg zu einer befreiten Bewusstseinsgesellschaft führt, das zeigt die tibetische Geschichte auf, über die Transformation jedes Einzelnen, der sich von alten Denkstrukturen und Verhaltensmustern seiner Vergangenheit befreien will. Alle historischen Versuche des Westens, die Gesellschaft zu reformieren und mehr Freiheit, Gleichheit oder Brüderlichkeit zu erzeugen, endeten, wie die französische Revolution oder der Kommunismus, in einem Desaster. Rasch stellten sich die alten Macht- und Denkstrukturen wieder her.
Heute leben wir in einer Welt des Geldes, in der einige wenige Superreiche und Mächtige die Lebensbedingungen von Milliarden Menschen steuern. Die wirtschaftliche Logik durchdringt fast jeden unserer Lebensbereiche. Alltag und Lebensziele haben sich weitgehend dem Dogma des Materialismus, geprägt von Produktion, Konsum und Unterhaltung, angepasst. Doch dieser Lebensstil bekommt immer mehr Risse. Die Konsumlogik kann die Versprechungen nach einem erfüllten Leben nicht einhalten. Sie lebt davon, immer neue Bedürfnisse zu propagieren, die uns noch effizienter und zufriedener machen sollten, uns aber in Wirklichkeit abhängiger, getriebener und unzufriedener werden lassen. Immer mehr Menschen wollen sich konsequenter Weise aus dem Wettrennen um Geld, Macht und Status zurückziehen und entdecken die innere Dimension ihrer Persönlichkeit als Quelle von Zufriedenheit.

Innere Ruhe und Gelassenheit sind schon seit einigen Jahren bei Google hoch oben auf der Suchliste. Wer nach Innen geht, stellt allerdings schnell fest, dass die Welt, der er den Rücken kehren wollte, sich auch im Inneren widerspiegelt. Wer die äußere Realität verändern will, kommt also nicht daran vorbei, zunächst bei sich selbst zu beginnen. Neurologen sind sich einig darüber, dass die meisten inneren Strukturen, die unser Bewusstsein füllen, unbewusst sind. Damit wir also die Programme der Geschichte nicht unbewusst weiterführen, müssen wir zunächst in der Lage sein, diese zu erkennen und ggf. abwählen zu können, um ein selbstbestimmteres, bewussteres Leben führen zu können.

Bei einem meiner Kunden sehe ich nach mehrjährigen Seminaren und Workshops mit Führungskräften und Mitarbeitern, was passiert, wenn Menschen sich auf persönliche Transformation einlassen.  Die  entstandene „Unternehmenskultur der Achtsamkeit“ ist beispielhaft für ein Unternehmen, in dem die Entwicklung der „inneren Wirklichkeit“ und „der persönlichen Transformation“ eben nicht ausgeklammert wurden. Der Kunde, eine Münchner Bank, wurde 2015 zum achten Mal in Folge als eine der besten Arbeitgeber Deutschlands (Great Place to Work) ausgezeichnet, erhielt zahlreiche Sonderpreise und verzeichnet im Vergleich zu anderen Banken ein überdurchschnittliches Wachstum. All das ist Ausdruck einer Entwicklung, bei dem Stärken- und Potentialentfaltung, Werteorientierung, Authentizität und die Arbeit an der eigenen Persönlichkeit im Vordergrund standen. Persönlichkeits- und Unternehmensentwicklung sind hier eng miteinander verknüpft. Entscheidend für diesen Prozess jedoch war die Bereitschaft des Vorstandsvorsitzenden  seine persönliche Transformation nicht aus dem Unternehmenskontext auszuklammern, sondern seinen Führungskräften und Mitarbeitern die Möglichkeit zu eröffnen, auch für sich selbst diesen Weg zu gehen.

Solange man allerdings der Entwicklung der Persönlichkeit nur marginale Bedeutung gibt und Führungskräfte lediglich mit „Tools“ ausstattet, darf man sich nicht wundern, wenn man eine seelenlose Kultur von Mechanikern erhält, die Mitarbeiter lediglich funktionalisieren. Was also ist der nächste Schritt, wenn persönliche und gesellschaftliche Transformation Hand in Hand gehen sollen? Wir sollten die Illusion aufgeben, dass sich Gesellschaft oder ein Unternehmen ohne individuelle Transformation verändern kann. Sowohl der Einzelne als auch die Gesellschaft gewinnen, wenn Menschen ihre Essenz, ihr Potential und ihre Talente erkennen, bzw. ihnen die Möglichkeit eröffnet wird, diese wirksam werden zu lassen.
Menschen, die ihr gesamtes Lebens- und Bewusstseinspotential haben ausschöpfen können waren immer auch die, die die Meisterwerke der Menschheit geschaffen oder den Lauf der Geschichte beeinflusst haben. Ihr erster Schritt bestand meist darin, sich von den Konventionen des Zeitgeistes zu befreien und das Unmögliche zu denken. Immer mehr Menschen sind heute auf der Suche nach ihrem wahren Selbst. Sie erkennen intuitiv, dass das Ziel, materiellen Reichtum immer weiter auszureizen, in ein oberfächliches, dumpfes Bewusstsein führt. Wir verfügen heute in den westlichen Gesellschaften über mehr als ausreichende materielle Güter, die es uns erlauben würden, den Fokus unseres Daseins neu auszurichten. Die Transformation zur Bewusstseinsgesellschaft geschieht bereits, auch wenn sich in den Medien noch nicht viel davon widerspiegelt. Der nächste Schritt ist der Schritt von der Funktionalisierung in die Sinnhaftigkeit des Seins, die sich offenbart, sobald wir uns auf den Weg nach Innen machen, in die Tiefe des Selbst.

 

 

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