«Angst ist ein Teil von Dir, mit dem Du verhandeln kannst …»

Wie man sein Leben aus der Klarheit des transpersonalen Selbst heraus führt. 
Transpersonale Akademie – November 2020

«Wer ist das, der uns Dinge tun lässt, die wir nicht tun wollen? Warum werden wir immer wieder verfolgt von der kritischen Stimme in unserem Kopf ? Gibt es eine bessere Art, mit dem Gefühl von Wertlosigkeit umzugehen, das tief im Bauch sitzt? Wie können wir den Lärm in uns leiser werden lassen, der uns die ganze Zeit ängstigt und ablenkt?» Richard Schwartz
Wenn das Unterste nach oben gekehrt wird…
Corona zwingt uns dazu, vielem auf den Grund zu gehen, das wir gerne verdrängen, denn das Unterste wird nach oben gekehrt. Es ist eine Zeit gewaltiger Transformation und das gleich auf vielen Ebenen: Ökologisch sind wir gefühlsmässig schon über den «Point of no Return» hinaus; Lockdown und daraus resultierende Isolation lösen das soziale Gefüge immer mehr auf; wirtschaftlich erleben viele grosse Unsicherheit oder Verlust; die Politik entmündigt immer mehr und spielt mit der Macht des Staates, und auch in unseren engsten Beziehungen bleiben wir nicht verschont. Kein Wunder also, wenn bei jedem Einzelnen die verdrängten (locked-down) Schattenaspekte der Psyche mit Gewalt an die Oberfläche drängen. Paare trennen sich, Freundschaften schlafen ein und Familien brechen auseinander. Wir sind immer mehr auf uns selbst zurückgeworfen. Was also tun mit den Stimmen im Kopf, den Ängsten und Sorgen?
Das Konzept der inneren Anteile – «Welcher Teufel hat mich da geritten?»
Die transpersonale Psychologie kennt seit Roberto Assagioli (italienischer transpersonaler Psychologie) das Modell der inneren Persönlichkeitsanteile, die sich im Laufe unseres Lebens in der Psyche einnisten. Jeder dieser Anteile hat seine Gewichtung, seine Stimme und seine Eigenart. Sobald wir lernen diese Anteile mit Abstand zu betrachten und mit ihnen zu kommunizieren, verstehen wir ihre Geschichte, ihre Absicht und schaffen es sogar sie zu regulieren, ohne dass sie uns «übernehmen». Jeder kennt die Situation, wenn ein Teil von uns sofort in Verteidigung geht oder Gegenangriff, wenn man sich mit dem Partner streitet. Mitten im Streit übernimmt der «Rächer, Verteidiger oder Ankläger und wir sehen den Partner nur noch  auf eine verzerrte Weise, weigern uns auch nur einen Zentimeter nachzugeben oder werden sarkastisch und gemein. Später, wenn die Wogen sich wieder geglättet haben, fragt man sich vielleicht, «welcher Teufel hat mich da geritten?»
Die innere «Muppet Show»
Vor allem in Konfliktsituationen werden die «impulsiven Beschützer», unsere oftmals destruktiven Anteile, zum Problem. Alte Wunden werden aufgerissen, abgespaltene Anteile der Psyche aktiviert und übernehmen das Ruder. Heilung geschieht gemäss Assagioli durch «Psycho-Synthese», bei der «das transpersonale Selbst, der zentrale Bezugspunkt des Menschen, in der Lage ist, alle anderen Teile zu führen, zu koordinieren und zu regulieren.» Nach Assagioli ist es «eine der trügerischsten Illusionen, denen wir uns hingeben können, die Überzeugung, dass wir ein unteilbares, einteiliges und unveränderbares Wesen sind.» Der systemische Ansatz des US Psychologen Richard Schwarz geht noch darüber hinaus und zeigt auf, wie man mit diesen inneren Teilen kommunizieren kann. Schwartz unterscheidet drei grosse Gruppen: die Macher (Manager), die Beschützer (Firefighter) und die Verbannten (Abandoned). Übernimmt eine der drei Gruppen die Führung, wird das authentische, transpersonale Selbst abgeschaltet, geschieht das über längere Zeit hinweg, wird das Selbst völlig verdrängt. Die innere Stimme des eigentlich gesunden Kerns steht dann nicht mehr für Orientierung, Klarheit, Zuversicht oder Mitgefühl zur Verfügung. Unsere besten Eigenschaften gewinnen wir dann zurück, wenn wir lernen mit diese Persönlichkeitsanteile unvoreingenommen zu erforschen und mit ihnen in einen Dialog zu treten.

Schwartz`s Beobachtung ist, dass «viele Menschen, die von «Machern» dominiert werden, ein oberflächliches und schales Leben führen, das nur darauf ausgerichtet ist, ihre Sicherheit zu garantieren. Menschen, die von ihren «Beschützern» überfallen werden, erleben einen Zustand ständiger Unruhe, in dem sie von einer Ablenkung zur nächsten unterwegs sind und nicht mehr zur Ruhe kommen, aus lauter Angst, dass ihre «Verbannten» die Oberhand gewinnen könnten. Jene Menschen, bei denen die «Verbannten» die Führung übernommen haben, sind ständig in akuten oder scheinbar regressiven Zuständen von Angst, Trauer oder Scham. Jeder, der von einer dieser drei Gruppen dominiert wird, hat etwas Zwanghaftes und Eingeschränktes an sich, weil nur ein kleiner, extremer Anteil von ihm präsent ist.»

Übung: Mein Dialog mit der Angst
Anstatt meine Angst zu bekämpfen oder zu ignorieren, versuche ich zunächst herauszufinden, wo ich die Angst in meinem Körper lokalisieren kann. Dann richte ich meine Aufmerksamkeit auf dieses Körpergefühl, während ich innerlich frage: „Wovor hast du solche Angst?“ und warte dann geduldig auf eine Antwort. Es kann ungewohnt sein, einem «Körpergefühl» Fragen zu stellen; aber wenn wir die Angst darum bitten uns zu antworten, wird sie uns aufzeigen, wo sie gezwungen wurde, eine beschützende Rolle in unserem Leben einzunehmen. Sie kann uns mitteilen, was uns helfen würde, besser mit ihr umzugehen. Am wichtigsten ist, dass wir uns Zeit nehmen, in einen Dialog mit ihr oder anderen belastenden Gedanken, Emotionen und Empfindungen zu treten.

Wenn das «aktivierte» Transpersonale Selbst die «innere Muppet Show» übernimmt
Sobald wir einen besseren Zugang zu den Kräften unseres transpersonalen Selbst finden und diese nutzen, sind wir in der Lage mit den «destruktiven oder verdrängenden Teilen» besser zu navigieren. Wir fühlen uns dann ganzheitlicher, zuversichtlicher und klarer, sodass, wenn die Dinge instabiler werden, wir dennoch innerlich zentriert bleiben und aus der Klarheit und Zuversicht heraus handeln.
Ralph Wilms, 28.11.2020

Schreibe einen Kommentar