„Die Selbsterkenntnis gibt dem Menschen das meiste Gute, die Selbsttäuschung das meiste Übel.“ Sokrates
Menschen realistisch einschätzen zu können ist eine Fähigkeit, die sehr hilfreich ist. Sie ermöglicht uns von anderen zu lernen, wenn wir erkennen, dass sie Fähigkeiten besitzen, die uns abgehen, aber sie unterstützt uns auch dabei Fehlentscheidungen zu vermeiden, indem wir uns z.B. nicht auf Menschen einlassen, die unzuverlässig sind oder uns schaden. Frühzeitig eine narzisstische Persönlichkeitsstruktur beim anderen erkennen zu können, der uns lediglich ausnutzen will, um eigene Ziele zu verfolgen und nichts zurück gibt, kann viel Lebensenergie und Zeit sparen. Viel öfter als man denkt, landet der „Beziehungsabhängige“, oft davon überzeugt nicht liebenswert zu sein, bei einem „ Narzissten“ mit übersteigertem Prestige- und Bewunderungsbedürfnis. Das ergibt zwar eine komplementäre, aber meist auch hochneurotische Beziehung.
Die Psychologie hat einen neuen Begriff geprägt für die Fähigkeit, Menschen objektiv einschätzen zu können: „Persönlichkeits-Intelligenz“. Sie beinhaltet viele Aspekte der Persönlichkeit wie Motive, Gefühle, Überzeugungen, Bindungsmuster, Handlungs-bereitschaft, Selbstbewusstsein oder Selbstkontrolle. Das Interessante an dieser Intelligenz ist, dass sie primär einhergeht mit der Fähigkeit sich selbst richtig einzuschätzen zu können. Wer also die Persönlichkeit anderer Menschen „lesen“ will, sollte über ein tieferes Verständnis seiner eigenen psychologischen Struktur und ihrer vielfältigen Dimensionen verfügen.
Jeder von uns ist eben nicht nur Menschenbeobachter, sondern auch gleichzeitig Persönlichkeitsforscher. Wir können aber lediglich das in anderen erkennen, was uns in Bezug auf unsere eigene psychologische Struktur auch bewusst ist. Wer bei sich selbst erfahren hat, dass seine expansive, auf Macht und Anerkennung zielende Haltung oft nicht anderes ist, als eine Vermeidungsstrategie, um unverarbeitete Aspekte von Selbstablehnung und Selbsthass zu kompensieren, der kann dies auch deutlich bei anderen erkennen. Er ist in der Lage zwischen echter, vitaler Dynamik und überzogenen, selbstzerstörerischen Ansprüchen zu unterscheiden. Wer dagegen nicht fähig ist, sich selbst richtig einschätzen zu können, fordert auch von seinem Umfeld immer wieder Bestätigungen ein, die seinem übertriebenen, idealisierten Selbstbild entsprechen, bzw. ist verärgert, wenn diese Bestätigungen ausbleiben.
Um sich objektiv einschätzen zu können, brauchen wir Introspektion, d.h. Selbstbeobachtung. Sie führt uns zu einer geschärften Selbstwahrnehmung und schlussendlich zur Selbsterkenntnis. In der transpersonalen Psychologie beschreibt der Bewusstseinsforscher Ken Wilber diesen Schritt wie den Umzug von einer 1 ½ Zimmer Wohnung in ein geräumiges Haus. Die Perspektive wird geweitet und ermöglicht dann innere Räume aus einer grösseren Distanz zu beobachten. Schon Sigmund Freud nutze Selbstbeobachtung für den Aufbau seiner Theorie über den Ödipuskomplex. In einem Brief an seinen Freund Fliess schrieb er: „Ich habe die Verliebtheit in die Mutter und die Eifersucht gegen den Vater auch bei mir gefunden und halte sie jetzt für ein allgemeines Ereignis früher Kindheit“.
„Erkenne Dich selbst“ war die Inschrift über dem Apollotempel von Delphi, verbunden mit der Aufforderung sich mit dem Wichtigsten zu beschäftigen, was Menschen lernen sollten, Bewusstsein über die eigene Persönlichkeit. Für Platon steht bei der Selbsterkenntnis nicht allein das Wissen, um das eigene Nichtwissen im Vordergrund, sondern vor allem, dass der Mensch sich als das erkennen soll, was er sei, nämlich „eine den Körper bewohnende unsterbliche und gottähnliche Seele.“ Gemäss C.G. Jung, dem grossen Schweizer Psychoanalytiker, findet Heilung erst dann statt, wenn ein Mensch wieder den Kontakt mit seiner Seele findet. In ihr finden wir zu unserer Essenz und zurück zur Selbstbestimmung unseres Lebens. Während die klassische Psychologie sich hauptsächlich damit beschäftigt Menschen als Leistungsmaschine wieder „funktionsfähig“ zu machen, konzentriert sich die transpersonale Psychologie darauf Menschen in ihrer Suche nach Seelentiefe, Ganzheit und Erfüllung zu unterstützen. Meditations- und Achtsamkeits-techniken sind vor allem hilfreich, um den Selbsterkenntnisprozess zu vertiefen. Denn erst aus einer dem Denken übergeordneten Perspektive sind wir in der Lage, die tieferen Denkgewohnheiten und Persönlichkeitsmuster zu erfassen.
Google demonstriert mit diesem Programm, dass für den Erfolg des Unternehmens, Persönlichkeitsintelligenz und Achtsamkeit von zentraler Bedeutung sind. Lange wurde dieses Thema in Unternehmen ausgeklammert, da man von der unbewussten Annahme ausging, dass Persönlichkeit keinen Einfluss auf die Qualität der Zusammenarbeit oder die Performance hat. Google erkannte frühzeitig, wie heute immer mehr Unternehmen, dass das Bewusstsein über die eigene psychologische Struktur vieles in der Zusammenarbeit verbessert. Chade Meng Tan, der Leiter von „Search Inside Yourself“ bei Google, berichtet, dass das Programm sowohl das berufliche, als auch das private Leben vieler Teilnehmer nachhaltig verändert hat. Sie fanden neuen Sinn und Erfüllung in ihrer Arbeit; die Qualität der Beziehungen und Kommunikation stieg ebenso, wie die Motivation, Kreativität und Innovationskraft.
Ich wünsche Ihnen einen Quantensprung in Ihrer Persönlichkeit-Intelligenz. Die Jahreszeit passt perfekt in dieses Thema. Wenn die Tage kürzer und die Nächte länger werden, zieht sich die Natur in ihre Wurzeln zurück. Achtsamkeit, Introspektion und innere Ruhe tun uns gut in dieser Zeit. Nehmen sie sich immer wieder mal ein Time-Out und verlassen Sie Hektik der Welt für einen Augenblick, z.B. bei einem Spaziergang in der Natur. Gönnen sie sich einen Moment der Stille und des Innehaltens, um Ihrer Seele eines tiefes Atemholen zu erlauben.