Wir alle haben sie, diese besondere Fähigkeit, die Zukunft zu erahnen, bevor sie eintritt. Die Gabe der Prophezeiung wurde über Jahrtausende in allen Kulturen genutzt. Diese „Seher“ und „ „Propheten“ wurden zu allen Zeiten von Menschen um Rat gefragt. Von Pythagoras z.B. ist bekannt, dass er in der Lage war Erdbeben vorauszusagen. Delphi galt den Menschen der Antike über 1000 Jahre als Mittelpunkt der Welt. Hier erhielt man einen Blick in die Zukunft. Die Germanen nutzen Runen als Orakel. Das Wort „Buchstabe“ stammt aus dem Altgermanischen und bedeutet ursprünglich Runenzeichen. Die Chinesen praktizierten über Jahrtausende das IGing-Orakel, aus dem die chinesischen Schriftzeichen entstanden. Im alten Griechenland war es die Prophetin und Traumdeuterin Kassandra, Tochter des Königs von Troja, die den Untergang ihrer Stadt 10 Jahre vor dem Ereignis prophezeite. Dafür liess ihr Vater sie in einen Turm der Stadt einsperren und gut bewachen, aber das rettete Troja nicht.
Bemerkenswert ist das Risiko, das fast immer mit der Gabe der Prophezeiung kommt. Kassandra hatte zwar von Apollo diese Fähigkeit erhalten, wurde jedoch mit dem Fluch belegt, dass niemand ihr glauben würde. Da viele Menschen dies intuitiv wissen, entscheiden sie sich oft unbewusst dafür, in der „kollektiven Trance“ zu verharren bzw. ihrer inneren Wahrheit nicht zu folgen. Und doch ist uns diese Fähigkeit nicht gänzlich abhanden gekommen. Wir nutzen sie zumindest dann, wenn wichtige Entscheidungen anstehen und wir uns zentrale Lebensfragen stellen. Die Forschung auf dem Gebiet der „vorhersehenden Künste“ unterscheidet viele Arten die Zukunft zu erkennen: Dazu gehören beispielsweise „ sehen, erspüren oder deuten. „Seher“ sind Menschen, die die Zukunft buchstäblich vor ihren Augen sich entfalten sehen. Dies kann im Traum oder im Wachbewusstsein geschehen.
Mit „ erspüren“ ist häufig das Bauchgefühl gemeint. Der Körper ist ein hervorragender Indikator dafür, ob etwas stimmt oder nicht. „Deuter“ dagegen solche, die scheinbar zufälligen Ereignissen eine spezifische Bedeutung geben können.
Gesellschaftlich ist heute Vorahnung und Intuition nach wie vor geächtet. Wer sich öffentlich dazu bekennt seinen Vorahnungen zu folgen, wird immer noch schnell als „Aussenseiter“ ettiketiert. Grund dafür ist nicht zuletzt ein Prinzip der Physik, dass der Zeitgeist der Masse unbewusst übernommen hat: Ein einzelnes Ereignis ist in der Physik immer zweifelhaft. Erst der Nachweis der Reproduzierbarkeit wird als wissenschaftlich anerkannt. Alles andere gilt als unwissenschaftlich. Vorahnungen und Intuitonen aber beschäftigen sich nicht mit „sich wiederholenden Phänomenen“, sondern mit Ereignissen, die einmalig sind, und das ist die grosse, weite Welt unseres Alltags, ausserhalb der Physik. Deshalb sollte man Vorahnungen und Intuition als komplementäre Fähigkeit betrachten, statt das Kind pauschal mit dem Bade auszuschütten.
Während also unsere westliche Welt diese Fähigkeit nach wie unbeachtet lässt, ist die chinesische Kultur eher synchronistisch. Sie fragt weniger nach der Ursache, sondern: „Was taucht gemeinsam auf ? Was hat eine Tendenz gleichzeitig zu passieren? Welche Ereignisse werden konvergieren?“ C.G. Jung bezeichnete dieses Phänomen als Synchronizität. Er definierte es als „das Auftreten inhaltlich sinnvoller, nicht kausaler Ereignisse zwischen gleichzeitigen oder zeitnahen Ereignissen“.
Da in meditativen Zuständen die Zeit aufgehoben wird, d.h. Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart in der Tiefendimension des Jetzt zusammenfliessen, öffnet sich hier ein „Vorhersage-Fenster“. Wenn wir achtsam in den Augenblick eintauchen und uns für einen Moment vom Alltagsbewusstsein lösen, kann sich ein tieferer Einblick in die ansonsten versteckte Ordnung der Zeitlinien offenbaren. Das für das normale Bewusstsein verborgene Netz zukünftiger Ereignisse wird dann für einen Augenblick sichtbar. Je häufiger wir dieses Eintauchen in den Augenblick praktizieren, umso zuverlässiger können wir das Potential dieser Vorahnungen im Alltag nutzen, ohne auf Logik oder Rationalität verzichten zu müssen.